Revolution ist lange, zähe, anstrengende und niemals endende Arbeit. Das wurde mir schmerzlich bewusst auf der Trauerfeier des Comandante en Jefe Fidel Castro, die am Dienstag, 29.11.2016, also 4 Tage nach seinem Tod auf dem Platz der Revolution in Havanna stattfand. Die Veranstaltung, an der mehrere Hunderttausend Menschen vor Ort teilnahmen und die der Rest des Landes vor den Bildschirmen verfolgte, zog sich ungemein in die Länge. Das allerdings sind die Kubaner bereits seit Jahrzehnten gewohnt, wie von allen Seiten zu vernehmen war. Die leibhaftigen Auftritte Fidels zogen sich oft über viele Stunden hin, was seinen stehenden Zuhörern stets körperliche Höchstleistungen abverlangte
Auf den von Che Guevara und Camilo Cienfuegos, den Ikonen der kubanischen Revolution, flankierten Platz hatte sich an diesem Abend also trotz der voraussichtlichen Anstrengungen eine riesige Trauergemeinde zusammengefunden, um von ihrem Maximo Líder Abschied zu nehmen. Im Folgenden dazu ein Liveticker, der eigentlich kein Liveticker mehr ist, denn die Veranstaltung ist ja nun schon vorüber.
Hier also der aufgezeichnete Liveticker
Die Veranstaltung beginnt mit einer live gesungenen Hymne auf Fidel und mit einer heroischen Bildercollage, die das Leben des Comandante auf zwei großen Videoleinwänden abbildet. Jetzt kündigt der Moderator den ersten Redner an. Es ist Rafael Correa, der Präsident Ecuadors.
Er steigt ein mit einem stürmischen Viva Fidel und hat die Massen damit schon gewonnen. Er betont die Wichtigkeit Fidels nicht nur für Kuba, sondern für alle Länder Südamerikas, die das Joch des Imperialismus abgeschüttelt haben oder es noch abschütteln werden. Er schließt mit Hasta la victoria siempre!, der Platz ist außer sich vor Rührung und Begeisterung.
Nun folgt Jacob Zuma, Präsident Südafrikas. Sofort wird deutlich, dass er nicht besonders gut mit seinem Übersetzer harmoniert. Er verhaspelt sich, setzt sogar ein Zitat an der falschen Stelle. Die Verwirrung ist groß. Insgesamt ist Zuma an diesem Abend nicht so feurig und leidenschaftlich wie sein Vorgänger. Der ganze Auftritt hat seine Längen, auch wenn er soeben das Ende des Imperialismus beschwört und eine freie und gerechte Welt im Sinne Fidels fordert. Soweit, so angemessen für diesen Anlass, aber er kann den Platz an diesem Abend nicht mitreißen. Zu trocken, zu oberlehrerhaft sein Beitrag, zu wenig Slogans, die das Publikum auf dem Platz der Revolution mitreißen können.
Als dritter Redner folgt nun der Präsident der Dominkanischen Republik, dessen Namen ich aufgrund der von Zuma ausgelösten Lähmung nicht so richtig mitbekomme. Den Umstehenden geht es nicht anders. Ich steige erst wieder ein als er mit einem kräftigen Hasta la victoria siempre! schließt. Bei Correa geklaut?
Der nächste auf der Rednerliste ist der Präsident El Salvadors. Seine markigen Worte kommen schon besser an. Kann sein, dass es daran liegt, dass er, anders als seine beiden Vorgänger, keinen Übersetzer braucht. Seine Rede: Kurz, bündig, auf den Punkt! Gegen amerikanischen Imperialismus, dem Fidel so lange widerstanden hat und für mehr Reformen im Sinne der Revolution in Mittelamerika. Hasta la victoria siempre! scheint das Mantra dieses Abends zu werden, das auch hier wieder gut ankommt.
Plötzlich brandet Jubel auf. Der Moderator hat Alexis Tsipras angekündigt, den griechischen Ministerpräsidenten und Widersacher Merkels und Junckers. Er betritt die Bühne und wird sofort von Hunderttausenden frenetisch gefeiert. Charismatisch wie er ist verstärkt sich der Jubel noch, als er auf den Leinwänden sichtbar wird. Hier holt er sich also das Selbstbewusstsein für seinen quälenden Kampf gegen Brüssel und Berlin. Er sagt, es gehe darum, dass alle Menschen das Recht auf Freiheit und Würde haben, nicht nur jene, die über Reichtum verfügen. Er findet die richtigen Worte, streut immer wieder kubanische Referenzen (Che) ein und lobt Fidels lebenslangen Kampf als Beispiel für Widerstand gegen Ungerechtigkeit. Der Mann versteht sein Handwerk, ich bin begeistert, als er donnernd mit Hasta la victoria siempre! und Viva Fidel! endet und das Publikum euphorisch einsteigt.
Es übernimmt der Vertreter aus Algerien. Die Menge ist noch außer sich von Tsipras Darbietung und kann sich kaum auf den drögen Nordafrikaner einlassen. Er steigt nicht mit einem Hasta la victoria siempre! oder wenigstens einem Viva Fidel! aus, erhält deshalb auch nur wenig Applaus. Einer der Verlierer dieses Abends, soviel kann man schon jetzt sagen.
Von ihm übernimmt das Mikrophon ein Abgesandter der Volksrepublik China. Der adrett gekleidete Herr entschuldigt sich, dass seine Parteioberen es heute Abend nicht zu dieser denkwürdigen Veranstaltung geschafft haben. In ihrem Namen lobt er die Verdienste Tongzhi (Comrade, Companero, Genosse) Castros für den globalen Sozialismus. Bei seinem Anblick wird deutlich, weshalb sich die alten Haudegen Che und Fidel so erfolgreich und oft sogar positiv ins kollektive Weltgedächtnis einbrennen konnten und die Ostasiaten nicht. Die beiden verkörpern ein Desperadotum und eine sexy Verwegenheit, die den chinesischen Parteioberen gänzlich abgeht. Zumindest global gesehen. Trotzdem solide Vorstellung, das Publikum ist zufrieden mit dem Besuch vom sozialistischen Riesen und applaudiert anerkennend.
Als nächstes Betritt die Bühne der Vertreter der Islamischen Republik Iran. Rein optisch ebenfalls ein etwas anderer Revolutionär mit seinem Turban und seiner sanften und etwas leidenschaftslosen Stimme. Beide Länder eint der Kampf gegen den großen Satan USA, beiden mussten immer wieder Angriffe der CIA abwehren und schmerzhafte Sanktionen über sich ergehen lassen. Deshalb gibt sich der Iran solidarisch mit dem Comandante en Jefe und ich kann langsam nicht mehr stehen und zuhören.
Beim Redner aus Russland, der nicht Putin ist, steige ich aus und komme erst wieder einigermaßen zu mir als Vietnam mit der ersten weiblichen Gesandten aufwartet. Auf den ersten Blick eine Entsprechung einer kommunistischen Iron Lady, die dann aber mit einem lässigen und dennoch mitreißenden Viva Cuba! endet und dem Platz wieder etwas Leben einhaucht. Viva Cuba!, schallt es nun lautstark über den riesigen Platz.
Es folgt nun ein Scheich. Ein Umstehender sagt mir, er komme aus Saudi-Arabien. Aber kann das sein? Eine US-Marionette am Rednerpult des Maximo Líders? Aha, er erwähnt Palästina, ok, das macht Sinn. Ansonsten murmelt er nur uninspiriert vor sich hin. Er beendet seinen Redebeitrag und tritt unspektakulär ab. Trotzdem. Ich bleibe unsicher. Saudi-Arabien? Hier…? Das passt irgendwie nicht. Das werde ich zu einem späteren Zeitpunkt nochmal aufarbeiten.
Nun Weißrussland. Das passt wieder. Ein knochentrockener Vertreter Lukaschenkos lobt anerkennend die Erfolge der kubanischen Revolution und schließt in seinem tiefen russischen Timbre mit Viva Cuba!
Evo Morales aus Bolivien steigt südamerikanisch temperamentvoll ein und eilt in seiner Rede von Höhepunkt zu Höhepunkt. Harter Kontrast in Geste und Mimik zu seinem osteuropäischen Vorgänger. Der Platz der Revolution ist außer sich. Gegen Imperialismus, für die Emanzipation der Völker! Viva Fidel, Hasta la victoria siempre, Viva Cuba! Ein Selbstläufer, die patriotisch aufgeladene Menge zieht mit und macht es so dem nun folgenden Namibier nicht gerade leicht.
Der hat zwar etwas Professorales, Langweiliges, erzählt aber Interessantes. Nämlich, dass die kubanische Armee unter Fidel unmittelbar an der Unabhängigkeit seines Landes 1990 beteiligt war. Und zwar waren die Kubaner aktiv in den Unabhängigkeitskrieg der Angolaner verwickelt, den diese gegen die portugiesische Kolonialmacht und Verbände aus Apartheid-Südafrika führten. Namibia war damals Verwaltungsgebiet des rassistischen Staates im Süden. Der Kampf gegen die Angolaner und Kubaner verloren die Südafrikaner und waren seither nicht mehr in der Lage ihre Vormachtstellung in Namibia aufrecht zu erhalten.
So spannend das alles ist, bitte kommt zum Ende mit euren Kondolenzen. Ich kann nicht mehr stehen. Mexiko verpasse ich, weil ich mich mal kurz setzen musste. Und das als Verfechter des Stehplatzes in Fußballstadien. Aber die dauern auch nur 90 Minuten und außerdem gibt’s da was zu trinken.
Nun betritt Daniel Ortega aus Nicaragua die Bühne. Der beste Freund Fidels in Mittelamerika. Sofort wird klar, der Mann hört sich gerne Reden. Es hat was Demagogisches, wie er da im ruhigen Flüsterton die lateinamerikanische Revolution beschwört, dann zu endlosen Kunstpausen ansetzt, wild gestikulierend Drohungen und Verwünschungen ausstößt, um dann in sanftem Ton die Familie Castro zu preisen. Er versucht seinen Vortrag mit endlosen Anekdoten aus Castros Leben zu würzen, aber auch die können dem Publikum kaum noch Leben einhauchen.
Ein Heimspiel hat Nicolas Maduro aus Venezuela. Stellvertretend für seinen berühmten Vorgänger und Fidel Intimus Hugo Chavéz heizt er mit bebender Stimme die Menge nochmal an. Sofort kommt Bewegung in die Masse, die der am Ende einschläfernde Ortega regelrecht zermürbt hat. Die Menschen nehmen seinen stürmischen Enthusiasmus und die eingestreuten Aufrufe zum Klatschen und Solgans-Rufen gerne auf. Sie vertreiben die Müdigkeit. Trotzdem habe ich Angst, dass ihm mehr Redezeit als allen anderen zusammen eingeräumt wurde. Das ist denkbar, schließlich liefert er den Treibstoff für die kubanische Revolution. Er hat aber ein Einsehen und übergibt schlussendlich mit einem lautstarken Viva Rául an den neuen Maximo Líder Rául Castro.
Der braucht eigentlich nichts weiter zu tun als die Verdienste seines Bruders zu lobpreisen und die der Platz ist zu Tränen gerührt. Anders als sein Bruder hält er sich tatsächlich kurz und entlässt die Trauergemeinde nach fast vier Stunden mit einem herzlichen Viva Cuba!
Es ist geschafft. Die Stimmung war dem Anlass entsprechend feierlich, an einigen Stellen sogar recht heiter für eine Trauerfeier, an anderen traurig und die Zuhörer glitten in tranceähnliche Zustände ab. Am Ende verlassen viele hoffnungsfrohe Menschen den Platz der Revolution. Hasta la victoria siempre!
Ich persönlich verlasse den Platz mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite hat Fidel Castro es geschafft, den Armen der Welt eine Stimme zu geben und ein Beispiel zu sein im Kampf um Anerkennung und Partizipation. Das zeigt allein die Rednerliste dieses Abends, die sicher mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung repräsentiert und die allesamt aus mehr oder weniger abgehängten Ländern stammt. Andererseits wird sogar in Teilen der Zuhörerschaft und ganz besonders im Rest der kubanischen Gesellschaft eine zumindest ambivalente Haltung zum Regime sichtbar: Für sie ist Revolution altbacken bis konservativ, der Wille nach Veränderung deutlich sichtbar und selbst wenn er sich nur im Tragen westlicher Symbole wie Nike, den amerikanischen Stars and Stripes, Chanel oder sogar Red Bull manifestiert. Auf jeden Fall bin ich mir sicher, dass Fidel Castro seine Strahlkraft postmortem nicht verlieren wird, sie wahrscheinlich sogar noch ausbauen kann.
Schön geschrieben, danke für diesen Einblick!! Hab´s mit Interesse gelesen. Und ja…nur zu Jacob Zuma, ich glaube er ist sich treu geblieben, denn neben vielen anderen Dingen, kann er auch nicht reden! Auch im eigenen Land habe ich noch keine Rede seinerseits gehört, ohne Verhaspler, Versprecher oder falsche Zahlen…
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