Oh, Iran!

In meinem Schülerreiseführer steht: Iran is a beautiful country. Just go and find out for yourself! Ich habe gedacht, das steht da, weil der Schüler, der das geschrieben hat, keine wirkliche Lust hatte, einen ausgedehnten Reiseführer für seinen Lehrer zu schreiben. Womöglich stimmt das sogar, aber ich unterstelle wohlwollend, dass er genau wusste, was er tat, denn eigentlich sind diese zwei Sätze das Einzige, was man über eine Reise in das Land wissen muss. Jede Vorbereitung ist sinnlos, weil das, was man gehört und gelesen hat, sowieso nicht deckungsgleich ist mit der Realität. Im Iran gibt es ganz viele parallel existierende Realitäten, von denen ich einige entlang der Städte, die mir im Reisführer schludrig vorgeschlagen wurden, kennenlernen durfte.

  1. Realitätscheck in Teheran

Zunächst einmal ist da das offizielle Iran, das einen am Flughafen Imam Khomeini empfängt. Der namensgebende Revolutionsführer ist es auch, der streng und überlebensgroß von einem Plakat auf die Reisenden in der Ankunftshalle herabschaut und sie in der islamischen Republik begrüßt. Bei seinem Anblick denke ich, die iranische Revolution hat ein Marketingproblem. Würde ihr Führer etwas gütiger gucken und nicht wie das fleischgewordene Böse, wäre das Image der islamischen Republik vielleicht nicht ganz so miserabel. Andererseits symbolisiert er absolute Macht im Namen Allahs – ein netter Gesichtsausdruck ist da vielleicht irreführend und setzt falsche Signale.

Auch alle Banknoten, die ich bald nach meiner Ankunft vor dem Flughafen tausche, werden geziert von seinem grimmigen Antlitz. Wie viele Khomeinis ich denn wolle, fragt der windige Devisenhändler grinsend und hebt den Namen des toten und doch omnipräsenten Führers spöttisch hervor. Da der Iran vom internationalen Zahlungsverkehr abgeschnitten ist, Ausländer also nur bar bezahlen können, entgegne ich: ‚Viele’ und halte ihm einen Teil meines Reisebudgets in Euro hin. Er zählt und zählt und überreicht mir irgendwann einen fast ziegelsteingroßen Batzen Geld. Ich bin Khomeinimillionär! Die Inflation der letzten Jahre führte zu irrwitzigen Beträgen, mit denen die Iraner jeden Tag hantieren. Ein paar Rials, so heißt die Währung offiziell, stecke ich lässig wie ein Local in meine Hemdtasche, den Rest in verschiedene Depots in meinem Gepäck.

Eine andere Realität der Stadt ist, dass sie an ihren Abgasen zu ersticken droht. Der Verkehr ist wahnsinnig und raubt jedem Neuankömmling die Sinne. Wäre ich Verkehrsminister, ich würde unbedingt leise schnurrende Elektromotorräder subventionieren, um den Höllenlärm, besonders verursacht von Zweirädern, erstmal auf die vierrädrigen Vehikel zu reduzieren. Parallel dazu natürlich massive Investitionen in das öffentliche Nahverkehrsnetz, auf das schon heute viele Menschen ausweichen und entsprechend voll ist. Dieser Umstand führte mich an meinem ersten Tag in Teheran in zwei weitere Realitäten des Landes. Der der Geschlechtertrennung im öffentlichen Raum und der grandiosen Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft der Menschen.

Bei meinen Versuchen, einen Expressbus zu besteigen, scheitere ich kläglich. Resigniert stehe ich an der Haltestelle im Bereich für Männer und sehe Bus um Bus vor meiner Nase wegfahren. Ich habe einfach keine Chance, in eines der hoffnungslos überfüllten Gefährte einzusteigen. Es ist erstaunlich, auf wie wenig Raum sich so viele Menschen pressen lassen, denke ich noch, als mich der Fahrkartenkontrolleur anspricht und an die Hand nimmt. Er will mir helfen, in den nächsten Bus zu gelangen. Dazu bugsiert er mich in den Bereich der Haltestelle, der eigentlich ausschließlich für Frauen reserviert ist und drängt mich bei Ankunft des Busses durch die Tür. Die mitreisenden Damen gucken verblüfft, als ich die Geschlechtertrennung im öffentlichen Personennahverkehr zwangsläufig aufhebe. Der Kontrolleur schiebt mich immer weiter in Richtung Fahrer bis ganz nach vorne und weist auf einen Platz direkt neben dem Mann am Lenkrad. Darauf nehme ich Platz, der Bus fährt an und ich traue mich nicht, mich umzudrehen. Unmittelbar hinter mir wähne ich lauter Frauen in schwarzen Chadoren, die mich missmutig und übellaunig anstarren und dahinter, eingepfercht in ihrem Abteil, die Männer, in deren Verdrängungswettkampf um ein bisschen Platz ich so erbärmlich versagt habe. Unsicher schaue ich stur geradeaus durch das Fenster, als mich von hinten eine sanfte Stimme anspricht. Ich drehe mich um und blicke in erheiterte Gesichter, die mich, umrahmt von Kopftüchern, allesamt aufmunternd lächelnd anschauen. Sogar eine Alte, deren moralinsauren Blick ich besonders gefürchtet hatte, wirft mir ein warmes ‚Welcome to Iran’ zu.

Die Stimme gehört Behnaz, eine Künstlerin, wie sich später herausstellt. Ich habe ihr im Bus auf ihre Nachfrage meine Telefonnummer gegeben, sie ein paar Tage später getroffen und so weitere iranische Realitäten kennengerlernt: Die der Paranoia, der Kreativität und der Verzweiflung, wenn man sich nicht dem System anpassen kann und will und wer kann das schon, wenn man nicht das tun darf, was man gerne macht.

Behnaz treffe ich in ihrem Atelier im Norden der Stadt, da wo die besser gestellten Tehranis wohnen. Hier oben in den südlichen Ausläufern des Alborz Gebirges weht ein frisches Lüftchen, der Verkehr ist nicht ganz so übel und man kann manchmal den Horizont sehen. Das Beverly Hills Tehrans sozusagen. Wie in Kalifornien mangelt es auch hier nicht an frischen Ideen. Behnaz zeigt mir ihr letztes Projekt, in dem sie sich kritisch mit der Verschleierung von Frauen auseinandersetzt. Sie kann es nicht ertragen, dass Frauen, insbesondere aus konservativen Familien, sich von einem Stück dunklen Stoff knechten lassen müssen. Der Chador mache Frauen unsichtbar, sagt sie und führe zu enormer Verunsicherung ihrer Trägerinnen, die sie nie wieder abschütteln können. Warum denn nicht alle so luftige Kopftücher tragen wie sie, will ich wissen, und ob es eine offizielle Vorgabe gibt. Mir war nämlich schon aufgefallen, dass es ganz unterschiedliche Auslegungen der öffentlichen Kleiderordnung gibt. Das hänge allein von der Erziehung ab und der Situation Zuhause ab, erklärt sie. In konservativen Familien ist ab dem Teenageralter Chador angesagt, in offeneren Haushalten wie dem ihren wird der schwarze Stoff von farbenfrohen Hijabs ersetzt. Hauptsache in der Öffentlichkeit ist das Haar und der Nacken bedeckt, dafür sorgt die Sittenpolizei, über deren Präsenz sich alle im Klaren sind und die die Regeln je nach Bedarf mal strenger und mal weniger streng auslegen. Die Sittenpolizei sorgt auch dafür, dass sie ihre Kunst nicht im öffentlichen Raum ausstellen darf und im Internet nur unter falschen Namen unterwegs ist. Geldverdienen mit dem, was sie am liebsten macht, ist also nicht drin. Das geht nur im Ausland und da will sie hin, wie so viele andere auch. Das Problem mit dem Ausland ist allerdings ein Visum und, noch viel wichtiger, im Ausland stoße sie mit ihrem Anliegen wohl auf großes Verständnis, für die eigentlichen Adressaten bleibe ihre Kunst aber weiterhin unsichtbar.

Auf meinem Rückweg durch die Stadt achte ich verstärkt auf die Modeerscheinungen in Teheran. Mir fallen ganz unterschiedliche Variationen von Kopfbedeckungen auf, ich erkenne konservative Familien und freiheitsliebende Individualisten und mir wird klar, wie viel Mut es braucht, die Grenzen der Regeln auszuloten. Beim Anblick eines Mädchens, das ein Iron Maiden Shirt trägt, abgewetzte Chucks und einen Nasenring kombiniert mit einem lax im Nacken hängenden Schal, denke ich an meine Schüler und ihre oft hilflosen Versuche zu provozieren. In Deutschland gar nicht so leicht, meinen Kollegen und mir ringt höchstens plötzliche Vollverschleierung eine Reaktion ab, in Iran ist die Wahl der Garderobe im öffentlichen Raum ein Drahtseitakt und ein hochpolitisches Statement, das im schlimmsten Fall körperliche Maßregelung nach sich zieht. Oh Iran, warum tust Du Deinen Frauen das an?

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